Sich begegnen, lesen und kulturelle Räume schaffen in Sonneberg
Neugierige Blicke am Montagnachmittag vor der Sonneberger Buchhandlung: Ein Transporter aus Köln rollt mit einem Anhänger und einem Hubwagen im Nieselregen über den PIKO-Platz und entlädt ein L-förmiges Holzteil mit Metallsockel und Glasscheiben. „Was ist das denn?“, fragt ein kleines Mädchen mit langem Zopf, Brille und buntem Regenschirm interessiert. Lilly, so heißt sie. Und sie erfährt von Bauamtsmitarbeiterin Simone Wicklein und Buchhändlerin Juliane Strauß, dass es sich um einen neuen Bücherschrank handelt.
„Dort kannst du dann deine ausgelesenen Bücher einstellen und dir kostenlos ein neues mitnehmen oder im Sommer ein Eis essen und dabei schmökern“, erklärt ihr Juliane Strauß. Lilly schaut durch die Glasscheiben durch den noch leeren Bücherschrank und freut sich sichtlich auf das, was da kommt. Auch die Sonnebergerin Ingeborg Diez erkundigt sich im Vorbeigehen nach dem noch unbekannten Gegenstand vis á vis der Sonneberger Buchhandlung. Die Idee eines öffentlichen Bücherschranks findet sie spontan „einfach klasse“. Sie erzählt von ihrer Schwester in Grimma: „Entlang der Mulde gibt es etliche davon, die sehr gut angenommen werden“, weiß die Sonnebergerin.
Begegnung, Austausch und ein kleines Stückchen Kultur zu schaffen, war der Ansatz für die Anschaffung zweier Bücherschränke für die Sonneberger Innenstadt. Ein weiterer steht seit Montagabend in unmittelbarer Nähe zur Stadtbibliothek Sonneberg am Bahnhofsplatz. Ermöglicht wurde die Finanzierung durch das Bundesförderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“, umgesetzt durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB).
In unmittelbarer Nähe zur Stadtbibliothek und zur Buchhandlung gibt es also ab sofort die Möglichkeit, gut erhaltene Lektüre aus dem privaten Fundus einzustellen und sich im Gegenzug ein Buch von Interesse mitzunehmen. Kostenlos versteht sich. Die offenen Bücherboxen, konzipiert als Stadtmöbel, haben ihren Platz bereits an vielen Standorten in Deutschland. Angefertigt und in Sonneberg aufgestellt wurden sie von der urbanlife e.G. aus Köln, die einige Jahre Erfahrung mit offenen Bücherschränken mitbringt.
Der geistige Vater des Projektes ist Stadtplaner, Architekt und Designer Hans-Jürgen Greve. Er will motivieren, Menschen, Kunst und Kultur auf die Straße zu bringen: „Die Orte verändern sich, an denen die Bücherschränke stehen. Es ist das Tauschen, das uns fasziniert. Der Austausch der Bücher und der Blicke. Hier dürfen wir uns ansprechen. Auch ohne, dass ich einen Hund habe, darf ich am Schrank einfach mal mit jemandem in Kontakt treten. Ohne Vorwarnung ins Gespräch gehen. Was wird daraus? Einfach nur ein flüchtiger Kontakt oder mehr? Das sind die noch ungeahnten Qualitäten der neuen Orte. Es erinnert uns an die Brunnen, an denen, als es noch kein Wasser in den Häusern gab, das soziale Leben des gesamten Viertels stattfand.“
Allein in Thüringen wurden mit Stand 31.12.2023 insgesamt 72 öffentliche Bücherschränke erfasst. Häufig sind es ausgediente Telefonzellen oder Holzschränke und -regale, die dafür genutzt werden. Zwei neue Exemplare stehen nun in der Spielzeugstadt und warten auf ihre Befüllung. Eine offizielle Bücherschrank-Eröffnung wird es am kommenden Sonntag geben. Anlässlich des Ostermarktes am Sonntag, 24. März 2024 um 15 Uhr nehmen Bürgermeister Dr. Heiko Voigt, Fotograf und Buchautor Claus Schunk sowie Buchhändlerin und Bücherschrank-Patin Juliane Strauß den ersten Bücherschrank direkt an der Buchhandlung – Ecke Ernststraße/Bahnhofstraße – in Betrieb. Claus Schunk trägt dazu aus seinem neuen, noch unveröffentlichten Buch vor. Auch können Schunks Werke zum Aktionspreis in der Buchhandlung erworben werden, inklusive Signierstunde.
Patin für den zweiten Bücherschrank am Bahnhofsplatz wird die Stadtbibliothek Sonneberg sein. Deren Leiterin Nicole Obermeier ist vom Konzept überzeugt: „Bücherschränke leisten einen wichtigen Beitrag zur Leseförderung und sind außerdem nachhaltig. Ausgelesene Bücher finden auf diese Weise neue Interessenten, und das niederschwellig und kostenfrei. Wir werden immer wieder gefragt, wo gebrauchte Bücher hingebracht werden können, nun stehen gleich zwei Anlaufstellen für die Sonneberger zur Verfügung.“