Die Welt stellt aus
Sonneberg auf den Weltausstellungen
Mit dem Ziel der „Belehrung und Vergnügen“ gehören die Weltausstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu zentralen Elementen des Selbstverständnisses einer europazentrierten westlichen Welt. In Gestalt der Sonneberger Ausstellungsbeteiligungen spiegeln sich damit gleichermaßen nationale und industrielle Selbstdarstellung wie der Stand der gewerblich-industriellen Entwicklung in und um Sonneberg.
Grundsätzlich ist allen Weltausstellungen bis 1910 die Fortschrittseuphorie des 19. Jahrhunderts gemein. Allerdings gibt es zwischen der ersten Weltausstellung (1851) und den späteren, an denen sich Sonneberg ab 1893 beteiligt hat, eine deutliche Akzentversschiebung. Stand die erste Weltausstellung (1851) noch im Interesse, den Gedanken von Welthandel und Freihandel voranzubringen, so überwog bei den Ausstellungen
während der Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg vor allem die nationale Selbstdarstellung. Als „Durchbruch“ auf dem internationalen „Ausstellungsparkett“ darf die Beteiligung der Sonneberger an der Schau in Paris (1900) gelten, die erstmals den Fokus der medialen (Welt-)Öffentlichkeit auf die Industrieregion im Herzogtum Sachsen-Meiningen lenkte. Schließlich spiegelt sich in der Schaugruppe Thüringer Kirmes auch die kulturskeptische Haltung und die Heimatschutzbewegung der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wieder. In jedem Fall haben Sonneberger Modelleure und Unternehmer zwischen
Biedermeier und klassischer Moderne einen Anteil an der „ausgestellten Welt“.
Lokale Voraussetzung für die Beteiligung an großen Ausstellungen war die auf der Grundlage von Verlag und Hausindustrie strukturierte Spielzeugindustrie. Zwar entsprechen diese Strukturen überwiegend einer protoindustriellen frühneuzeitlichen Organisation. Allerdings vermochte sich diese Struktur während der Industrialisierung an die Erfordernisse der industriellen Massenproduktion anzupassen, indem über ein Netzwerk aus Teil- und Fertigarbeitern, eines auf wenige Verlagsgeschäfte konzentrierten
Vertrieb sowie Bildungseinrichtungen (Industrieschule) Effekte wie in Großunternehmen zu erzielen. Technologische Grundlage für die Herstellung von Weltausstellungsobjekten waren verschiedene Massen, überwiegend Papiermaché u. ä., die bis Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Puppenherstellung dominierten. Enge Beziehungen – vor allem zu den zwischen 1893 und 1910 entstandenen Schaugruppen – bestanden zudem zum ebenfalls in Sonneberg vertretenen Gewerbezweig der Attrappen- und Schaufensterfigurenherstellung. Schließlich bestand seit 1851 eine enge Beziehung aller
Weltausstellungsobjekte zur Entwicklung des gewerblichen Bildungswesens. Johann Nicolaus Horn, der die Gruppe Volksfest auf Rosenau entwarf, war zugleich Leiter der Zeichen- und Modellierausbildung in Sonneberg. Die späteren Schaugruppen wurden ausschließlich durch den Industrieschuldirektor Reinhard Möller entworfen und haben dieser Bildungseinrichtung wie der gesamten Region großes Prestige verschafft.
Quellen:
Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c6/Expo_brussels_poster.jpg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/85/1893_world_columbian_exposition.jpg (01.11.2022)
Die erste Weltausstellung, die „Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations“, fand vom 1. Mai bis 11. Oktober 1851 in London statt. 28 Länder mit etwa 17.000 Ausstellern nahmen teil. Die englische Königin Victoria eröffnete am 1. Mai 1851 die Ausstellung im Hyde-Park. Der Prinzgemahl, Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, Schirmherr dieser Ausstellung, war maßgeblich an der Planung und Realisierung beteiligt.
Die Schaugruppe „Volksfest auf der Rosenau“, wurde eigens für diese Weltausstellung von dem Sonneberger Handelsverein in Auftrag gegeben. Nicol Horn, Zeichenlehrer und Hoffotograf, schuf die Entwürfe zu dieser Schaugruppe. Die Figuren, in der hiesigen Tracht und nach der Mode der Zeit gekleidet, waren aus Papiermaché gefertigt. Die Mechanik der vielen sich bewegenden Figurengruppen schuf der Sonneberger Mechaniker Moritz Hensold. Viele der etwa 400 detailreichen Miniaturen waren durch eine spezielle Mechanik beweglich und verschafften den Besuchern ein reges und lebendiges Bild.
Angelehnt an die ländlichen Feste der Coburger Herzöge im Park von Schloss Rosenau und in Erinnerung an die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem englischen Königshaus und dem Coburger Herzogtum, zeigte die Schaugruppe auf einer Fläche von etwa 4,50 m x 3,00 m das Treiben eines Volksfestes im Rosenauer Schlosspark. Im Hintergrund des Aufbaus liegt das Schloss Rosenau. Vor dem Schloss ist ein Reiter und eine Vierspänner Kutsche zu sehen, eine Jagdgesellschaft mit erlegtem Wild ist auf dem Weg hinauf zum Schloss, Bauern sind bei der Heuernte, ein Hirte ist mit seiner Rinderherde auf der Weide, die Schafe sind im Pferch und eine Wassermühle mit einem Schwanenteich liegt links unterhalb des Schlosses in der Landschaft.
Rechts im Vordergrund steht ein Gasthaus, dessen Maibaum von Tänzern und Besuchern umringt wird. Links davon ein Festzelt mit Tannengrün geschmückt für die Herrschaften. Auf dem Platz stehen Buden und Zelte. Ein Leierkastenmann, ein Kasperle-Theater und ein Guckkasten begeistern die Kinder.
Vor dem Verladen und Abtransport nach London wurde die Gruppe im März 1851 im Sonneberger Rathaus der Öffentlichkeit vorgestellt. Nach Ende der Weltausstellung wurde das Schaustück verkauft und gilt heute als verschollen. Erhalten sind die Enwürfe und Skizzen von Nicol Horn in den Beständen des Deutschen Spielzeugmuseums in Sonneberg.
Quellen: Stadtarchiv Sonneberg
Deutsches Spielzeugmuseum Sonneberg
Fotos | Rechte: Thomas Wolf | Deutsches Spielzeugmuseum
Gauß, Hans: Das Volksfest auf der Rosenau, in:
Vortragsreihe des Museums- und Geschichtsvereins Sonneberg e.V. 12 (1996)
„Great Exhibition“, https://de.wikipedia.org/wiki/Great_Exhibition (01.11.2022)
Der Sonneberger Kaufmann Adolf Fleischmann präsentierte 1844 auf der Allgemeinen Ausstellung Deutscher Gewerbeerzeugnisse in Berlin die Figurengruppe „Gulliver in Liliput“. Die Figurengruppe wurde in Anlehnung an den damals populären Roman Gullivers Reisen von Jonathan Swift geschaffen. Der Gruppe wurde die „Eherne Preismedaille“ verliehen.
Der große Erfolg in Berlin bewog Adolf Fleischmann, die Schaugruppe auf der Weltausstellung in London dem internationalen Publikum zu präsentieren. „Gulliver in Liliput“ war bei den Besuchern der Londoner Ausstellung ein beliebtes Ausstellungsstück. Der Arzt Gulliver wacht nach einem Schiffsunglück als einzig Überlebender gefesselt am Strand einer geheimnisvollen Insel auf. Winzige Menschen umringen Gulliver und bestaunen angstvoll und mit Vorsicht den vermeintlichen Riesen. Eine Gruppe Soldaten mit dem Kommandanten zu Pferde, ist fest entschlossen das Volk zu verteidigen, aufgeregte und gestikulierende Einwohner versuchen mit einer Leiter den Riesen zu erklimmen um ihn noch weitere Fesseln anzulegen. Auf der Fußspitze sitzt ein Mutiger um die Situation zu überblicken.
Die Figurengruppe wurde von Sonneberger Spielwarenherstellern gefertigt. Eine kleine Welt für sich. Die wenigen Zentimeter hohen Figuren waren aus dem damals typischen Material, dem Papiermaché, gefertigt. Das Material ermöglichte den Herstellern die Fertigung von vielgestaltigen Modellen mit individuellen Charakteren.
Quellen: Stadtarchiv Sonneberg,
Deutsches Spielzeugmuseum
Fotos | Rechte: Thomas Wolf | Deutsches Spielzeugmuseum
Die „World’s Columbian Exposition“ fand vom 1. Mai bis zum 30. Oktober 1893 in Chicago statt. 46 Länder mit ca. 70.000 Aussteller zeigten auf dem Gelände des Jackson Parks am Ufer des Michigansees das Neueste aus Forschung und Technik, Kultur und Kunst.
Die Ausstellungsgebäude, außen in Weiß gehalten, wurden abends spektakulär beleuchtet, das gesamte Areal war elektrifiziert. Zum Ausstellungsgelände gehörte ein Vergnügungspark mit einem Riesenrad.
Die Sonneberger Spielwarenindustrie beteiligte sich zu dieser Weltausstellung mit einer imposanten Kollektivgruppe.
Zu diesem Schaustück kamen die Entwürfe aus der Industrieschule in Sonneberg. Die Kollektivgruppe wurde nach den Plänen von Prof. Reinhold Möller zusammen mit Schülern der Industrieschule Sonneberg, Modelleuren, Firmen und Handwerkern aus Sonneberg und Umgebung geschaffen.
Die Hauptgruppe auf einem vier Meter langen und zwei Meter breiten Sockel bildete ein mit Puppen und Spielzeug hoch beladener Prunkwagen. Gelenkt wurde der Wagen von einer weiblichen Figur – dem friedlichen Welthandel. Ein lebensgroßes und geschmücktes Pferd wurde dem Wagen vorgespannt. Schaukästen mit Spielwaren und Nebengruppen umrahmten die Hauptgruppe.
Der Katalog zur Ausstellung schreibt: „Dieses Ausstellungstück wurde von 20 Spielwarenfirmen aus Sonneberg hergestellt und ist eines der künstlerisch wertvollsten und interessantesten Schaustücke seiner Art.“ Die Ausstellungsgruppe wurde mit einer bronzenen Preis-Medaille ausgezeichnet.
Quellen: Stadtarchiv Sonneberg,
Deutsches Spielzeugmuseum
Fotos | Rechte: Thomas Wolf | Deutsches Spielzeugmuseum,
Stadtarchiv Sonneberg
„World’s Columbian Exposition 1893“, https://de.wikipedia.org/wiki/World%E2%80%99s_Columbian_Exposition, (01.11.2022)
Campbell. Campbell‘s illustrated history of the World‘s Columbian Exposition v. 2 (1894) Seite 356. In Germany’s Section,
https://library.si.edu/digital-library/book/campbellsillust2camp, (01.11.2022)
Die „Exposition universelle de 1900“ fand vom 15. April bis zum 12. November 1900 zum fünften Mal in Paris statt. Über 76.000 Aussteller aus 40 Ländern waren vertreten. Das „Grand Palais“, eigens für diese Ausstellung erbaut, ist heute noch ein Ausstellungsgebäude.
Die Olympischen Sommerspiele 1900 fanden zeitgleich in Paris statt, hatten aber nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie die Weltausstellung.
Die Sonneberger Spielwarenindustrie beteiligte sich zu dieser Weltausstellung wieder mit einer aufsehenerregenden Schaugruppe, einem großen Weihnachtsschlitten in einer Winterlandschaft. Zu diesem Schaustück kamen die Entwürfe wiederum aus der Industrieschule in Sonneberg. Die Gruppe wurde nach den Plänen von Prof. Reinhold Möller geschaffen.
Die Hauptgruppe, ein großer Weihnachtsschlitten voller Spielzeug mit einem lebendig wirkenden Weihnachtsmann wurde von zwei geschmückten lebensgroßen Hirschen gezogen. Ein Knabe in mittelalterlicher Tracht führte den Schlitten in Richtung der kleinen Stadt. Die Gruppe in der Winterlandschaft war von Märchenfiguren und Waldtieren umgeben. Als Hintergrundmotiv ist die Obere Stadt von Sonneberg mit dem Schloßberg zu sehen. Engel schauen auf die Szenerie herab. Vitrinen mit Ausstellungsstücken der Sonneberger Spielwarenindustrie vervollständigten die Gruppe.
Die Schaugruppe wurde mit einem Grand Prix ausgezeichnet.
Das Sonneberger Ausstellungsstück ist im Original leider nicht mehr erhalten. 1997 wurde von Schülern der Staatlichen Berufsbildenden Schule Sonneberg, ein Weihnachtschlitten nach dem Vorbild der Pariser Schaugruppe von Prof. Reinhold Möller gestaltet und in Sonneberg ausgestellt.
Quellen: Stadtarchiv Sonneberg,
Deutsches Spielzeugmuseum
Fotos | Rechte: Thomas Wolf | Deutsches Spielzeugmuseum,
Stadtarchiv Sonneberg
„Weltausstellung Paris“, https://de.wikipedia.org/wiki/Weltausstellung_Paris_1900, (01.11.2022)
1900 Paris - Der Weihnachtsschlitten
Die „Saint Louis World‘s Fair“ fand vom 30. April bis 1. Dezember 1904 statt. 63 Länder stellten im heutigen Forest Park aus. Eine Miniatureisenbahn mit zwei
Streckenverläufen führte durch das Gelände und diente als Verkehrsmittel zwischen den Ausstellungshallen. Zu der bisher größten Ausstellung der Welt gehörte ein Vergnügungspark mit einem Riesenrad.
Zeitgleich wurden die 3. Olympischen Spiele in St. Louis ausgerichtet, fanden aber wie zuvor in Paris wenig Beachtung.
Die Sonneberger Spielwarenindustrie beteiligte sich auch dieses Mal wieder an der Weltausstellung in St. Louis mit einer Schaugruppe, einer Spielwarenkarawane.
Zu dieser Schaugruppe stammte der Entwurf erneut aus der Feder des Direktors der Industrieschule in Sonneberg, Prof. Reinhard Möller. An der Ausführung beteiligt waren wie auch zuvor, die Schüler der Industrieschule Sonneberg, ansässige Firmen, Handwerker und Modelleure.
Die Hauptgruppe zeigte die Spitze einer Karawane. Auf einem geschmückten Kamel saß eine Prinzessin von Sonneberger Spielwaren umgeben. Zwei orientalisch gekleidete Figuren führten das Kamel und ein kleines Steppenpferd. Ein Steppenhund begleitete die Karawane. Ergänzt wurde das Gesamtbild durch Nebengruppen, Vitrinen und Ausstellungsstücke der Sonneberger Spielwarenindustrie.
Die Ausstellungsgruppe wurde mit einem Grand Prix ausgezeichnet.
Quellen: Stadtarchiv Sonneberg
Deutsches Spielzeugmuseum Sonneberg
Fotos | Rechte: Thomas Wolf | Deutsches Spielzeugmuseum
„Louisiana Purchase Exposition“, https://de.wikipedia.org/wiki/Louisiana_Purchase_Exposition, (01.11.2022)
Die „Exposition Universelle et Internationale de Bruxelles“ fand vom 23. April bis 1.November 1910 statt. 26 Länder waren bei der Weltausstellung vertreten und 29.000 Aussteller zeigten ihre Produkte.
Das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches beauftragte die Sonneberger Spielwarenindustrie ein Ausstellungsstück für die kunstgewerbliche Abteilung dieser Ausstellung zu fertigen um die Leistungsfähigkeit deutscher Handwerkskunst zu demonstrieren.
Der Entwurf zur Schaugruppe stammte abermalig von Prof. Reinhard Möller. Über dreißig ansässige Firmen, Handwerker, Modelleure und Schüler der Industrieschule Sonneberg waren an der Realisierung dieses Entwurfes beteiligt. Einige der 67 lebensecht wirkenden Figuren waren Sonneberger Einwohnern nachempfunden, so wie der „Oliven Schorsch“ ein weit bekanntes Sonneberger Original, die Marktfrau Probst mit ihrem Gemüsestand, die Lieferfrau Brand oder der „Frack’n - Hugo“. Der Marktplatz der fränkischen Stadt Miltenberg wird mit seinen Fachwerkhäusern zur Kulisse der Schaugruppe der Thüringer Kirmes, einem Dokument der Zeitgeschichte. Eine Postkutsche hält vor dem Gasthaus. Vor dem Karussell warten Kinder, Marktstände und ein Schießstand umgeben den Platz und laden die Besucher ein. Ein Wanderzirkus mit einem Bären, einem Kamel und Clowns finden ihren Weg. Eine Tänzerin balanciert auf einem Pferd. In einer offenen Werkstatt werden Puppen hergestellt. Besucher schlendern über den Platz und verweilen bei den Ständen.
Die Schaugruppe wurde mit einem Grand Prix, dem „Diplom d’ Honneur“ ausgezeichnet.
Nach der Weltausstellung gelangte die Schaugruppe nach Sonneberg zurück und ist eines der wohl bekanntesten Sammlungsstücke des Deutschen Spielzeugmuseums. Nach einer umfassenden Restaurierung wird die „Thüringer Kirmes“ seit 2014 im neuen Erweiterungsbau des Museums präsentiert. Die Schaustücke, ein Werbemittel für die einheimische Industrie, verkörperten die Kreativität, den Ideenreichtum, die Vielseitigkeit und das Können der Sonneberger Spielwarenhersteller.
Quellen: Stadtarchiv Sonneberg,
Deutsches Spielzeugmuseum
Fotos | Rechte:
Thomas Wolf | Deutsches Spielzeugmuseum
„Exposition Universelle et Internationale de Bruxelles,
https://de.wikipedia.org/wiki/Br%C3%BCssel_International_%E2%80%93_1910, (01.11.2022)
1910 Brüssel - die Thüringer Kirmes